Interview des Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit, Herr Markus GrübelMdB,mit Msg. Prof. Obiora Ike

17th October 2021

Herr Grübel sprach mit Prof. Ike über die Verbindung von Religion und Menschenrechten, über die Bedeutung von Religionsgemeinschaften bei der Entwicklungszusammenarbeit und über den vom BMZ initiierten Marshallplan mit Afrika.

M. Grübel: Wenn heute ein Europäer sagt, Religion sei nicht mehr zeitgemäß, was würden Sie ihm antworten? Was können Europäer von Afrikanern über Religion lernen?

Msg. Prof. Ike: Wenn jemand sagen würde, Religion hätte keine Bedeutung mehr,dann müsste ich diesen Menschen auf das Wörterbuch hinweisen. Denn Religion heißt kurz gesagt: Beziehung, Beziehung pflegen. Manchmal ist das Pflegen der Beziehung zwischenmenschlich, manchmal übermenschlich oder göttlich. Nach Max Weber besteht Religion aus einem Mysterium, also einem Geheimnis, in dem der Mensch sich befindet. Man kann dieses Mysterium nicht verlassen, man muss darin bleiben. Man kann Religion vielleicht durch Verschiedenes ersetzen, und dennoch bleibt Religion ein Grundbedürfnis der Menschheit. Das hat man in allen Kulturen gesehen. Religion gehört, das möchte ich sagen, zu den wesentlichen Dingen der Menschen. Auch wenn einige sagen, sie seien nicht religiös, entwickeln sie vielleicht gerade eine Art sekundäre Religion. Jedenfalls kann man nicht völlig ohne Religion leben.

Also können wir zusammenfassen: Religion hat Bedeutung. Aus europäischer Sicht sage ich, wer Religion geringschätzt ist weltfremd. Ich schätze zum Beispiel an vielen Afrikanern, wie engagiert sie ihren Glauben leben und sich häufig über ihre Religion definieren. Monsignore, wo sehen Sie Schnittmengen zwischen Religion und Menschenrechten? Welche Rollen spielen Religionsgemeinschaften beim Schutz des Menschenrechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit, aber auch beim Schutz anderer Menschenrechte?

Es gibt eine ganze Menge Beziehungen und Felder, in denen beide, Religion und Menschenrechte, zusammenkommen. Menschenrechte sind Grundrechte, sie gehören zu Menschen,eben weil sie Menschen sind. Menschen haben aufgrund ihres Menschseins Vernunft. Es gibt allerlei Lebewesen in unserer Welt, aber der Mensch ist ein homo rationale, wie es abendländische Philosophen wie Aristoteles oder Platon gesagt haben. Wenn ich rational denken kann, muss ich doch so weit kommen, dass ich anderen Menschen so elementare Dinge wie Schutz, Essen und Freiheit wünsche. Hier hat Immanuel Kant, der große deutsche Philosoph, in seiner Kritik der praktischen Vernunft den kategorischen Imperativ entwickelt. Damit wünscht man anderen das, was man sich selbst auch wünscht. Kant begründet dies auf der Basis von Vernunft. In der neueren Zeit gehören auch die Menschenrechte zu den anerkannten Grundbedürfnissen. Und dazu gehört auch Religion als der innerste Wunsch, sei es durch Glauben oder durch Beten in einer Gemeinschaft. Religion gehört wie Essen, Trinken, Freiheit und Bewegung zum Menschen. Und Religionsfreiheit ist ein Grundbestandteil der menschlichen Freiheit, basierend auf Vernunft.

Unser Ansatz im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist eine stärkere Einbindung von Religionsgemeinschaften in die Entwicklungszusammenarbeit. Wir haben zum Beispiel eine Strategie entwickelt, um Religion und Entwicklung insbesondere bei der Umsetzung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen, der nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) zu verbinden. Wo sehen Sie hier die größten Herausforderungen, wenn Sie zum Beispiel an Ihr Heimatland Nigeria denken, in der Zusammenarbeit mit Religionsgemeinschaften?

Genau in diesem Punkt schätzen wir das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sehr. Ich kann mich noch erinnern, wann und wie Minister Müller diese enge Verbindung von Religion und Entwicklung strategisch stärker in den Mittelpunkt rückte. Wenn man in ein Land wie Nigeria schaut oder in viele arabische oder lateinamerikanische Länder, so sind die Hauptträger der Entwicklung die Religionsgemeinschaften, die traditionellen Gruppen, die christlichen Kirchen und die islamischen Moscheen. Diese genießen den Respekt der Bevölkerung, sie sind Vertrauensgruppen und Vertrauenspersonen. Entwicklung kann man nicht ohne Vertrauen umsetzen. Entwicklung bedeutet nicht, Geld in die Welt zu geben: Entwicklung handelt von Menschen mit Menschen für Menschen. Sie integriert den Menschen in die Gesellschaft.

Religionsgemeinschaften sind ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft. Sie bringen das Volk zusammen und leisten Entwicklungszusammenarbeit, indem sie z.B. Schulen, Krankenhäuser und soziale Einrichtungen für Obdachlose, Alte und Junge bauen. Man sieht also, dass die Religionsträger in der Entwicklungszusammenarbeit wesentliche und gute Partner sein können. Das BMZ hat erkannt, dass Religionsgemeinschaften wichtig sind, besonders als Akteure in ihren eigenen Gesellschaften. Hier sind wir nicht nur in Europa erfolgreich, wenn man mit den Kirchen und kirchlichen Gruppen zusammenarbeitet. Diese können auf Subsidiaritätsebene noch größeren Einfluss nehmen und die Entwicklungsziele erreichen. Die SDGs, nach denen wir als Weltgemeinschaft seit 2015 agieren, werden bis 2030 so umgesetzt, dass Religionsgemeinschaften Fuß fassen und dass z.B. Schulen gebaut werden können.

Ich habe Nigeria besucht und habe mir den Konflikt zwischen Hirten und Bauern angeschaut. Muslimische Hirten und christliche Ackerbauern: ein Konflikt, der auch stark religiös aufgeladen ist. Sehen Sie dort Möglichkeiten für die Religionsgemeinschaften,ein friedliches Miteinander zwischen Christen und Muslimen, zwischen Hirten und Bauern, zu fördern?

Wir sind alle gefordert zu handeln, nicht nur in Nigeria, sondern weltweit. In Nigeria überlegt man in letzter Zeit, wie man Fulani von BokoHaram, also Nomaden von Dschihadistenauseinander halten kann. Ein Terrorist benutzt Waffen gegen andere Leute. Hirten, die Gewehre tragen und damit in andere Dörfer gehen, um Agrarland für sich zu beanspruchenund dabei Menschen töten, machen die Lage kompliziert. Es ist keine klassische Konfrontation zwischen Hirten und Bauern. Viele Bauern bei uns sind auch Hirten, die Kühe auf ihrem Hof besitzen. In Wirklichkeit hat die Regierung in Nigeria wenig getan im Sinne eines Rechtstaats und in Bezug auf polizeiliche Sicherheit. Die Vorfälle wiederholen sich und bisher sind wenige Verantwortliche vor Gericht gekommen. Wo sind unsere Sicherheitsleute, unser Militär? Die Bürger Nigerias sagen, ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden. Frieden ist ein Ziel, das wir alle verfolgen müssen. Frieden benötigt Dialog, das Wissen über die Sache und die komplexen Zusammenhänge. Man muss die Probleme erkennen und analysieren. Im Kontext Nigerias ist das kompliziert, deswegen ist die internationale Gemeinschaft miteinbezogen. Nigeria ist das Land mit den meisten Christen in Afrika, und es gibt ebenso viele Muslime. Beide Gruppen haben bisher friedlich zusammengelebt. Ich bin in Nigeria in den 50er-Jahren geboren und Auseinandersetzungenzwischen den Religionen waren mir fremd. Es gibt eine Instrumentalisierung der Religion für politische Zwecke.Das ist es, was wir auch bei den Hirten sehen. Wir brauchen das BMZ und unsere Freunde weltweit für eine sachliche Analyse des Konflikts, um der schwierigen Lage besser begegnen zu können. Wir sind bereit zu kooperieren, um praktische Lösungen gemeinsam umzusetzen.

Eine der zentralen Initiativen von Bundesminister Gerd Müller ist der sogenannte Marshallplan mit Afrika, wobei das Wort „mit“ ganz entscheidend ist. Dabei geht es unter anderem um die Schaffung von rund 20 Millionen neuen Jobs gerade für junge Menschen, die ins Berufsleben starten. Sie haben auch Kritik an dem Plan geübt Welche Hinweise möchten Sie uns im BMZ zum 60. Geburtstag und zum Marshallplan mit Afrika geben?

Die beste Hilfe ist die Selbsthilfe. Es gibt sogar ein deutsches Sprichwort, das ich in Köln gelernt habe: „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott“. Alle Entwicklungsziele müssen darauf hinarbeiten, dass der Mensch in der Lage ist, sich selbst zu helfen. Das ist sehr wichtig. Das Programm des Marshallplans mit Afrika ist eines der besten Programme seit dem Zweiten Weltkrieg, aber viele Afrikaner wissen nicht, wer Marshall ist.Sie kennen einen Mandela-Plan, einen Afrika-Plan, aber sie kennen das Konzept vom Marshallplan nicht. Arbeitsplätze zu schaffen ist zunächst die Aufgabe der Regierungen in den jeweiligen Ländern. Dass Freunde wie das deutsche Entwicklungsministerium oder andere europäische Nationen dabei helfen ist sehr wichtig und notwendig. Ich habe den Marshallplan miterlebt und Minister Müller zwei- oder dreimal getroffen. Ich war von seiner Authentizität fasziniert. Er ist ein Mensch, der Überzeugung und Vertrauen ausstrahlt, der diese Sache wirklich in Gang bringen will. Und Arbeitsplätze zu schaffen ist möglich. Viele afrikanische Länder haben all das, was einem Land helfen könnte. Ressourcen und junge Leute gibt es ausreichend, aber es mangelt an Technologie, an guten Lehrern und an Kapital. Manche Regierungen sind nicht kompetent, oft kommen Korruption und ethnische Probleme hinzu. Aber dieseProbleme sollten als Herausforderungen gesehen werden, die man überwinden kann. Ich bin dankbar, dass der Marshallplan entwickelt wurde. Es ist wichtig, dass die Politiker das mittragen, ebenso wie die Bevölkerung, die Religionsgemeinschaften und die Akademiker. Der Marshallplan ist ein langfristig angelegtes Projekt, denn Entwicklung braucht Zeit, braucht eine Vision und eine Strategie. Und sie braucht Menschen, die das tragen können. Afrika ist bereit. Wir sind dankbar, dass der Minister und sein Team diesen Plan entwickelt haben. Wir würden uns freuen, wenn der Marshallplan auch im Einklang mit den Plänen der Afrikanischen Unionumgesetzt wird; dann hätten wir die Kontrolle – zur Minderung von Korruption, zur Etablierung gezielter Projekte und für eine Win-Win-Politik.

Prof. Obiora Ike (*1956) ist Priester und Menschenrechtler. Er war über viele Jahre Generalvikar im nigerianischen Bistum Enugu und ist Mitglied der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte. In den Jahren 1982-1986 promovierte er in Theologie und Philosophie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Zuvor studierte er unter anderem in Innsbruck, London und Dubrovnik. Monsignore Prof. Obiora Ike ist Professor für Ethik und interkulturelle Studien an der Godfrey Okoye University in Enugu State, Nigeria. Er ist außerdem Gründungsdirektor des Katholischen Instituts für Entwicklung, Gerechtigkeit, Frieden und Caritas (CIDJAP) und Vorsitzender des wirtschaftlichen Beratungsausschusses des Staates Enugu. Derzeit ist er geschäftsführender Direktor des in Genf ansässigen Globalen Ethikzentrums.

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